Die EU wird wahrscheinlich nicht wie geplant bis 2030 einen Anteil von 20 % am Weltmarkt für Mikrochips erreichen. Das geht aus einem aktuellen, 70-seitigen Bericht des Europäischen Rechnungshofs hervor. Zwar habe das EU-Chip-Gesetz von 2022 der europäischen Chipindustrie neuen Schwung verliehen, doch rechnen die Prüfer damit, dass die EU bis 2030 wertmäßig nur einen Anteil von 11,7 % an der weltweiten Chipproduktion erreichen wird.
Nach Ansicht der Prüfer hat die EU-Kommission bei der Umsetzung ihrer Strategie akzeptable Fortschritte erzielt, aber es bestünde eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die zu überbrücken sei. „Die EU muss ihre Strategie für die Mikrochip-Industrie dringend einem Realitäts-Check unterziehen“, so Annemie Turtelboom, die als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs für den Bericht zuständig ist. „Die Entwicklung in der Branche ist rasant, und es gibt einen intensiven geopolitischen Wettbewerb. Wir hinken unseren ehrgeizigen Zielen derzeit weit hinterher. Das 20- Prozent-Ziel ist sehr hoch angesetzt – um es zu erreichen, müssten wir unsere Produktionskapazität bis 2030 etwa vervierfachen. Ein solches Tempo ist momentan in keinem Bereich erkennbar. Europa muss am Wettbewerb teilnehmen, und die EU-Kommission sollte ihre langfristige Strategie überarbeiten, um der Realität vor Ort gerecht zu werden.“
Die EU-Kommission komme nur für 5 % (4,5 Milliarden Euro) der im Chip-Gesetz bis 2030 vorgesehenen Mittel von rund 86 Milliarden Euro auf. Der Rest müsse von den EU-Mitgliedsstatten und privaten Geldgebern bzw. der Industrie bestritten werden.
Im Vergleich dazu hätten die weltweit führenden Chip-Hersteller im Zeitraum von 2020 bis 2023 405 Milliarden Euro an Investitionen aufgebracht, was die finanzielle Schlagkraft des Chip-Gesetzes minimal erscheinen lasse. Allerdings – so betonen die Prüfer – habe die EU-Kommission kein Mandat, die nationalen Investitionen auf EU-Ebene zu koordinieren, sodass sie mit den Zielen des Chip-Gesetzes im Einklang stehen.
Darüber hinaus mangle es dem Chip-Gesetz an Klarheit in Bezug auf die Ziele und Überwachung, und es sei schwer zu sagen, ob es die derzeitige Nachfrage der Industrie nach herkömmlichen Mikrochips ausreichend berücksichtige.
Nach Ansicht der Prüfer gibt es eine Reihe weiterer Schlüsselfaktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU in diesem Bereich und die Chancen für eine erfolgreiche Umsetzung des Chip-Gesetzes beeinflussen. Dazu zählen die Abhängigkeit von Rohstoffimporten, hohe Energiekosten, Umweltbelange, geopolitische Spannungen und Exportkontrollen sowie der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Darüber hinaus besteht die Chipindustrie in der EU aus wenigen großen Unternehmen, deren Projekte oft große Summen erfordern, was zu einer Konzentration der Ressourcen führt. Der Abbruch, die Verzögerung oder das Scheitern eines einzelnen Projekts könnte daher erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Branche haben. Insgesamt stellten die Gutachter fest, dass der Anteil der EU am Chipmarkt durch das Chip-Gesetz voraussichtlich nicht wesentlich steigen und das Ziel von 20 % der Weltproduktion kaum erreicht werden wird. So geht auch die EU-Kommission in ihrer im Juli 2024 veröffentlichten Prognose davon aus, dass – trotz eines erwarteten deutlichen Anstiegs der Produktionskapazitäten – der Anteil der EU an der globalen Wertschöpfungskette in einem rasch wachsenden Markt insgesamt nur geringfügig steigen wird: von 9,8 % im Jahr 2022 auf 11,7 % im Jahr 2030. (jr)