Open Source auf dem Prüfstand: Warum die Autobauer noch auf der Bremse stehen

Von Klaus Oertel

Die Automobilindustrie steht bekanntlich vor einem fundamentalen Wandel. Während Open-Source-Software (OSS) seit Jahren ein unverzichtbares Werkzeug in der Entwicklung ist, rückt sie nun ins Zentrum der Fahrzeuge selbst. Was hat diesen Wandel ausgelöst? Warum soll eine Branche, die traditionell auf proprietäre Lösungen setzt, gerade jetzt einen solch radikalen Schwenk zu Open Source vollziehen?

Ein wesentlicher Treiber ist das Konzept der Software Defined Vehicles (SDV). Diese Fahrzeuge, deren Kernfunktionen zunehmend durch Software bestimmt werden, benötigen flexible, skalierbare Lösungen – und hier kommt Open Source ins Spiel. Es beschleunigt nicht nur Innovationen, sondern fördert auch den Austausch zwischen Entwicklern weltweit. Doch die Frage bleibt: Wie lässt sich sicherstellen, dass die Qualität dieser Open-Source-Software den strengen Anforderungen der Automobilindustrie gerecht wird?

Ein weiterer Faktor ist die zunehmende Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in Fahrzeugen. In offenen Frameworks entwickelte KI hat das Potenzial, die nächste Generation von SDVs zu prägen. Doch genau hier lauern die Herausforderungen: Neue regulatorische Anforderungen, wie der Cyber Resilience Act und der AI Act der Europäischen Kommission, stellen die Industrie vor die Aufgabe, Open-Source-Software nicht nur sicher, sondern auch rechtlich einwandfrei zu entwickeln und zu implementieren.

Die Begeisterung für Open Source ist mehr als nur ein vorübergehender Trend. Sie signalisiert einen tiefgreifenden Wandel: Weg von geschlossenen Systemen, hin zu einer offenen, kollaborativen und softwaregetriebenen Zukunft. Doch OEMs zögern noch. Die Sicherheitsanforderungen und das Haftungsrisiko sind in der Automobilbranche besonders hoch. Fehler in der Software könnten fatale Folgen haben, und die Haftungsfrage bleibt komplex, wenn mehrere Parteien – OEMs, Zulieferer, OSS-Communities – involviert sind.

Die Qualitätskontrolle und Zertifizierung stellen eine weitere Hürde dar. Der offene und dezentrale Entwicklungsprozess von OSS erschwert die Kontrolle über die Qualität und Zuverlässigkeit der Softwarekomponenten. OEMs müssen aber sicherstellen – und im Zweifel auch nachweisen können – , dass diese den Anforderungen an Sicherheit und Langlebigkeit im Fahrzeugbetrieb gerecht werden.

Auch das Thema geistiges Eigentum (IP) sorgt für Zurückhaltung. Die Automobilindustrie ist von strategischem Denken geprägt, und Open-Source-Lizenzen, die eine Offenlegung des Quellcodes erfordern, kollidieren oft mit den Interessen der OEMs. Hier droht ein Verlust an Kontrolle und ein potenzieller Wettbewerbsnachteil.

Doch trotz aller Herausforderungen gibt es wohl kein Zurück mehr, um im globalen Wettbewerb auch mit den neuen OEMs aus China Schritt halten zu können. Die Automobilindustrie muss Wege finden, um Open Source sicher und effizient in ihre Prozesse zu integrieren, ohne die Kontrolle über Qualität, Sicherheit und geistiges Eigentum zu verlieren. Die Eclipse Foundation, eine der bedeutendsten Organisationen für Open Source Projekte, spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie fördert die Entwicklung von Softwareplattformen, die den Austausch von Innovationen und die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen erleichtern. Besonders im Bereich der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen (ADAS) und autonomen Fahrzeugen setzt die Foundation wichtige Impulse.

Der Weg hin zu einer offenen, kollaborativen Entwicklungskultur könnte sich als entscheidender Vorteil im globalen Wettbewerb erweisen. Automobilhersteller stehen nun vor der Wahl: Entweder sie bleiben in ihren traditionellen Strukturen verhaftet oder sie öffnen sich für eine neue Ära, in der Kollaboration und Offenheit die treibenden Kräfte sind. Es ist ein Wendepunkt, und die Entscheidung, die heute getroffen wird, wird die Automobilindustrie für die kommenden Jahrzehnte prägen. (oe)

Klaus Oertel ist Chefredakteur der AEEmobility