
Im Gespräch mit AEEmobility erklärt Holger Schwab, National President Valeo Deutschland, wie das Unternehmen technologische Unabhängigkeit bei Antrieben sichert, welche Rolle flexible Entwicklungs- und Produktionsstrukturen spielen – und warum Standorttreue und globale Zusammenarbeit bei Valeo kein Widerspruch sind. Schwab spricht offen über die Herausforderungen durch steigende Energiepreise, notwendige politische Rahmenbedingungen und die Chancen für Deutschland im Wettbewerb um die nächste Generation softwaredefinierter Fahrzeuge.
AEEmobility: Herr Schwab, Valeo setzt in Deutschland verstärkt auf Elektrifizierung – sowohl im Niedervolt- als auch im Hochvoltbereich. Welche technologischen Schwerpunkte verfolgt Valeo derzeit konkret im elektrischen Antriebsstrang?
Holger Schwab: Ladegerät, DC/DC-Wandler, Stromverteiler, Elektromotor und Getriebe vereinen. Dabei sind wir nicht nur in der Lage, diese Systeme vollständig zu integrieren, sondern auch deren optimale Einbindung ins Fahrzeug sicherzustellen. Das ist eine unserer wesentlichen Kompetenzen im Antriebsstrangbereich.
Ein zweiter Schwerpunkt liegt bei den Onboard-Ladegeräten. Unser Baukastensystem deckt Leistungen von sieben bis 22 kW ab und bietet die derzeit höchste Leistungsdichte am Markt. Zudem sind unsere Systeme bereits heute für die bidirektionale Ladefähigkeit ausgelegt, die in Zukunft zum Standard werden wird.
Der dritte, nicht minder wichtige Schwerpunkt ist die Software. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Effizienzsteigerung des Antriebsstrangs, insbesondere beim Temperaturmanagement und bei der Integration der Subsysteme ins Gesamtfahrzeug. Durch optimierte Softwarelösungen tragen wir direkt zur Steigerung der Reichweite bei – ein gutes Beispiel dafür ist der Mercedes EQS, der kürzlich als Reichweiten-Weltmeister ausgezeichnet wurde und für den wir wesentliche Komponenten liefern.
Zusammengefasst: Unsere Stärken liegen in der Komplettintegration von Antriebsstrangsystemen, in hochleistungsfähigen Onboard-Ladegeräten und in intelligenter Software. Zusätzlich bieten wir unsere Komponenten auch einzeln an, je nach Strategie und Bedarf unserer Kunden.

Holger Schwab ist seit April 2024 National President Germany bei Valeo und verantwortet in dieser Funktion das Deutschland-Geschäft des französischen Automobilzulieferers. Parallel dazu verantwortet er als Vice President die Power Drive Europe Regional Operations – das Geschäftsfeld für elektrifizierte Antriebssysteme.
In früheren Interviews haben Sie die Bedeutung technologischer Unabhängigkeit bei den Antriebsformen hervorgehoben. Wie gelingt es Valeo, Antriebslösungen zu entwickeln, die sowohl für reine Elektrofahrzeuge als auch für Hybride flexibel und skalierbar einsetzbar sind?
Die Nachfrage nach unterschiedlichen Antriebstechnologien wird immer wichtiger. Deshalb haben wir uns bei Valeo so aufgestellt, dass wir sowohl für Verbrenner, batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs) als auch für Plug-in-Hybride (PHEVs) die komplette Marktnachfrage abdecken können.
Unsere strategische Ausrichtung zeigt, dass wir frühzeitig die richtigen Weichen gestellt haben – ein klarer Vorteil gegenüber vielen Wettbewerbern. Mit dem Joint Venture mit Siemens in Erlangen haben wir früh in Hochvolttechnologien investiert. Gleichzeitig verfügen wir über ein umfassendes Portfolio bei 48-Volt- und 12-Volt-Systemen. Auch unsere Werke sind so konzipiert, dass wir flexibel auf Bedarfsschwankungen reagieren können – solange sie in einem wirtschaftlich vernünftigen Rahmen bleiben. Die frühe Integration unserer Entwicklungs- und Produktionsstrukturen schafft Synergien auf zwei Ebenen: Einerseits können Entwicklungsressourcen flexibel zwischen Niedrigvolt- und Hochvoltprojekten verschoben werden, je nachdem, wo die Marktnachfrage stärker ist. Andererseits sind unsere Produktionsstätten so gesteuert, dass sie je nach Bedarf effizient zwischen verschiedenen Technologien umschalten können. Damit sind wir bestens aufgestellt, um den Wandel im Markt flexibel und schnell zu begleiten.
Wie flexibel können Sie sich an unterschiedliche Fahrzeugarchitekturen der OEMs anpassen? Entstehen dabei weiterhin erhebliche Entwicklungsaufwände, die für jeden OEM individuell erbracht werden müssen?
Wir sehen natürlich beides – individuelle Entwicklungen und standardisierte Lösungen –, setzen aber bewusst den Schwerpunkt auf unsere modularen Baukästen. Damit sind wir in der Lage, sowohl Leistung als auch Bauraum flexibel zu optimieren, je nachdem, wie die Kunden ihre Fahrzeuge spezifizieren. In der Praxis zeigt sich, dass Baukastensysteme meist die wirtschaftlichere Lösung sind, da eine vollständige Neuentwicklung pro Kunde erhebliche Ressourcen und hohe Kosten verursachen würde. Deshalb haben wir eine klare Produktstrategie entwickelt: Unsere Baukästen sind modular aufgebaut – sowohl auf Ebene einzelner Subkomponenten als auch für komplette E-Achssysteme. Mit diesem Ansatz sind wir sehr erfolgreich unterwegs und werden ihn auch in Zukunft konsequent weiterverfolgen.
Weil wir zu den ersten Anbietern am Markt gehörten, konnten wir frühzeitig wertvolle Erfahrungen sammeln und wichtige Lernschleifen durchlaufen. Dabei haben wir erkannt, wie entscheidend die Standardisierung, insbesondere bei der Software, für den langfristigen Erfolg ist. Diese Erfahrung nutzen wir heute als klares Differenzierungsmerkmal – nicht nur im Bereich der Elektrifizierung, sondern ebenso, oder sogar noch stärker, bei zukünftigen Technologien wie dem autonomen Fahren und Fahrerassistenzsystemen. Valeo hat über die Jahre eine herausragende Softwarekompetenz aufgebaut, die in der Branche ihresgleichen sucht und uns einen wichtigen Wettbewerbsvorteil verschafft.
Sie erwähnten, Sie können in Ihren Werken auch flexibel auf die Bedarfe im Markt reagieren. Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Unsere Strukturen sind organisch mit der Entwicklung der Elektrifizierung am Markt gewachsen. Gleichzeitig haben wir sie schrittweise so aufgebaut, dass wir flexibel auf Veränderungen reagieren können – etwa dann, wenn andere Komponenten stärker nachgefragt werden. Aktuell sehen wir beispielsweise eine höhere Nachfrage nach 48-Volt-Hybridsystemen, als ursprünglich erwartet. Dank unserer flexiblen Aufstellung können wir diese Nachfrage jedoch problemlos bedienen.
Trotz aller Flexibilität bleibt eines zentral: Am Ende sind es Menschen, die in Produktion und Entwicklung tätig sind. Jede Marktveränderung betrifft nicht nur Maschinen oder Prozesse, sondern auch Arbeitsplätze. Deshalb reicht es nicht aus, nur die Produktionskapazitäten flexibel zu gestalten. Es geht auch darum, Vertrauen aufzubauen – durch verlässliche Technologien, aber ebenso durch stabile politische Rahmenbedingungen. Was die Industrie heute dringend braucht, ist Berechenbarkeit und Planungssicherheit. Leider fehlt es aktuell oft an klaren politischen Signalen und verlässlicher Unterstützung. Viele der Schwankungen, mit denen wir konfrontiert sind, entstehen genau aus diesem Mangel an Stabilität.

Die Software „Predict4Range“ optimiert das Wärme-management in BEVs mithilfe von Echtzeitdaten wie Außen-temperatur, Streckenprofil und Fahrzeugparametern. So lässt sich die Reichweite um bis zu 24 % steigern. (© Valeo)
In den letzten Monaten berichteten viele Wettbewerber über Stellenanpassungen und Restrukturierungen. Können Sie sagen, wie sich die Situation bei Ihnen derzeit darstellt?
Es gibt derzeit ein europäisches Anpassungsprogramm im Bereich Power, das im Wesentlichen Werke in Frankreich betrifft, in Deutschland sind rund 50 Stellen betroffen.
Allerdings unterscheidet sich unsere Situation deutlich von vielen Wettbewerbern. Wie bereits erwähnt, haben wir frühzeitig begonnen, Synergien zwischen verschiedenen Technologien zu nutzen und unsere Ressourcen strategisch auszurichten. Dadurch mussten wir nicht gleichzeitig in bestimmten Bereichen Personal abbauen und an anderer Stelle neu aufbauen. Diese vorausschauende Aufstellung unterscheidet uns heute und darauf sind wir auch stolz.

Das LiDAR-Reinigungssystem von Valeo gewährleistet eine stabile Sensorleistung bei Fahrgeschwindigkeiten von bis zu 130 km/h. Es verfügt wahlweise über eine integrierte Schutzkappe (mit inte-grierter Düse) oder eine einziehbare Abdeckung. Das Reinigungssystem bietet effektiven Schutz bei allen Witterungsbedingungen – einschließlich Regen, Schnee, Schlamm und Staub. (© Valeo)
Valeo zählt zu den weltweit führenden Anbietern von Fahrerassistenzsystemen. Mit welchen Sensorik-Innovationen – insbesondere in den Bereichen Kamera, Radar und Lidar – rechnet Valeo in den nächsten zwei Jahren?
Ich beginne gern mit einer klaren Botschaft: Weltweit gibt es heute kein Fahrzeug mit Level-3-Automatisierung auf der Straße , das nicht mit einem Lidar-System von Valeo ausgestattet ist. Unsere Lidar-Sensoren bieten eine herausragende Auflösung, hohe Zuverlässigkeit und ermöglichen robuste Redundanzkonzepte – essenzielle Voraussetzungen für hochautomatisiertes Fahren.
Valeo sieht sich im Bereich Fahrerassistenzsysteme (ADAS) als weltweite Nummer eins. Wir bieten ein sehr breites Portfolio an Sensortechnologien an – von Front- und Umgebungskameras über Ultraschallsensoren, Radar, Lidar und Wärmebildkameras bis hin zu hochleistungsfähiger Computerarchitektur, Domain Controllern und Zentralrechnern.
Der Trend geht zu ADAS-Systemen mit zunehmender Funktionsvielfalt und höherer Kritikalität. Wie begegnet Valeo den Herausforderungen bei der funktionalen Sicherheit (ASIL) und der softwareseitigen Architektur dieser Systeme?
Beim autonomen Fahren entsteht die notwendige Redundanz durch die Kombination von Kamera-, Radar- und Lidar-Systemen – alle drei Technologien gehören zu unserem Produktportfolio. Diese integrierte Lösung wird von unseren Kunden anerkannt und hat sich als Branchenstandard etabliert.
Funktionale Sicherheit bleibt dabei ein zentrales Thema. Auf Architekturseite setzen wir auf mehrere SoCs, die sich gegenseitig überwachen, sowie auf zusätzliche Sicherheits-ECUs für besonders kritische Systeme. Diese Absicherung ist ein fester Bestandteil unserer Entwicklungsstrategie.
Im Bereich Software arbeiten wir intensiv an integrierten Systemlösungen für Level-2-Plus-Fahrfunktionen, die heute bereits in Serie sind. Darüber hinaus entwickeln wir gemeinsam mit BMW einen Software-Stack für hochautomatisiertes Fahren auf Level 4 für automatisiertes Parken.
Unsere Expertise erstreckt sich damit von der Sensorik über die Abstimmung der Chips bis hin zur vollständigen System- und Softwareintegration über alle Automatisierungsstufen hinweg.
Zur Zusammenarbeit mit BMW: Die Entwicklung erfolgt im Rahmen einer engen Kooperation. In der Branche zeichnet sich zunehmend ab, dass hochkomplexe Systeme wie automatisiertes Fahren nur im partnerschaftlichen Zusammenspiel mit den Fahrzeugherstellern realisiert werden können. Valeo setzt dabei bewusst auf ein Netzwerk starker Partnerschaften – unter anderem auch mit Unternehmen wie Google und Qualcomm –, um die enorme Bandbreite technologischer Anforderungen erfolgreich abzudecken.
Unternehmen wie Qualcomm, aber auch andere bieten heute umfassende Plattformlösungen für High-Performance-Computer (HPCs) an. Inwieweit sehen Sie die Gefahr, dass solche Technologieanbieter zunehmend Geschäftsanteile von klassischen Automobilzulieferern übernehmen?
Wir haben gute Erfahrungen in den Kooperationen. Ich glaube, die könnten es nicht ohne uns, wir könnten es nicht ohne die. Wenn man sich da vernünftig aufstellt, kann es sehr erfolgreich sein. Das haben wir bis dato auch so demonstriert. Da gewinnen dann immer zwei, anstelle dass einer verliert.
Wie positioniert sich Valeo in Bezug auf die Integration von ADAS in zentrale, softwaredefinierte Fahrzeugarchitekturen – und welche Rolle spielt dabei Ihre Kooperation mit Partnern wie Mobileye oder Stellantis?
Die kürzlich bekannt gewordene Kooperation zwischen Volkswagen und Mobileye ist ein Beispiel dafür, wie sich die Automobilbranche zunehmend in Richtung Software-Defined Vehicle (SDV) bewegt. Dieser Schritt zeigt, dass Fahrzeughersteller verstärkt auf starke Technologiepartner setzen, um die komplexen Anforderungen an Software, Sensorik und Systemintegration zu bewältigen.
Genau hier positioniert sich Valeo sehr klar: Mit unserem umfassenden Software-Know-how – das wir bereits in den Bereichen Elektrifizierung und Fahrerassistenzsysteme (ADAS) bewiesen haben – gehören wir zu den führenden Anbietern für SDV-Technologien.
Die zentrale Frage lautet: Warum wird das Fahrzeug heute überhaupt zum Software-Defined Vehicle? Der Grund liegt in der Veränderung der Kundenbedürfnisse über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Fahrzeuge müssen sich zunehmend wie Smartphones oder digitale Plattformen weiterentwickeln – durch Software-Updates, neue Funktionen und individuell anpassbare Nutzererlebnisse.
Unser Ziel bei Valeo ist es, diese Veränderung aktiv zu gestalten. Wir kombinieren Effizienz, aktive Sicherheit und ein dynamisches digitales Erlebnis in einer offenen Systemarchitektur. Dafür arbeiten wir hier mit Herstellern wie Renault, Stellantis und BMW sowie mit amerikanischen und chinesischen OEMs zusammen. Ein wesentlicher Teil unserer Strategie ist die Entbündelung und Agnostik unserer Softwarelösungen – offen für verschiedene Plattformen und Partner. Zusätzlich zu unseren OEM-Partnerschaften arbeiten wir eng mit Technologieunternehmen wie Google und Qualcomm zusammen und entwickeln beispielsweise gemeinsam mit BMW Lösungen für vollautomatisiertes Parken.

Valeo und PanGood, ein chinesisches Hightech-Unternehmen, haben die gemeinsame Entwicklung einer neuen Generation von Axialfluss-Generatoren angekündigt. Die gemeinsam entwickelte 2-in-1-Lösung integriert Motor und Wechselrichter in einem hochkompakten und skalierbaren System. Die Architektur ist flexibel ausgelegt und eignet sich für alle Arten von Elektrofahrzeugen, insbesondere für sogenannte Extended Range Electric Vehicles (EREVs), bei denen es auf eine effiziente elektrische Antriebseinheit und eine intelligente Energienutzung ankommt, um die Reichweite zu erhöhen – ohne dabei Masse oder Kosten zu steigern.
Die Vorteile eines Software-Defined Vehicle liegen für OEMs und Zulieferer auf der Hand. Doch am Ende stellt sich die Frage: Wer trägt die erheblichen Entwicklungsaufwände? Der Endkunde wird diese Kosten vermutlich nicht vollständig übernehmen. Wie sehen Sie die Verteilung der Investitionen?
Letztlich wird Zahlungsbereitschaft immer dort entstehen, wo für den Endkunden auch ein echtes Verkaufserlebnis geschaffen werden kann. Dass ein Zulieferer wie Valeo die gesamten Entwicklungsaufwände allein tragen könnte, steht außer Frage.
Wir sind überzeugt, dass die Kooperationen, die wir mit unseren Kunden und starken Technologiepartnern eingegangen sind, die richtige Basis schaffen, um diese Entwicklung gemeinsam zu tragen. Bei der Umsetzung im Feld – also bei der Integration ins Fahrzeug und der Vermarktung – muss der OEM jedoch seinen Anteil leisten. Für ihn entsteht daraus schließlich ebenfalls ein neues Geschäftsmodell.
Natürlich überlegen auch wir bei Valeo genau, in welchen Bereichen sich für uns eigene Geschäftsmodelle entwickeln lassen und wo wir Umsätze generieren können. Es ist letztlich immer eine Frage des konkreten Business Cases.
Während wir heute die Grundlagenentwicklung verantworten und konsequent vorantreiben, ist klar: Die Umsetzung und Finanzierung eines Software-Defined Vehicle kann nur durch das Zusammenspiel mehrerer Partner erfolgreich gelingen.
Angesichts hoher Energiepreise und zunehmender regulatorischer Belastungen gerät der Standort Deutschland zunehmend unter Druck. Welche konkreten politischen Maßnahmen halten Sie für unverzichtbar, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und die Technologieentwicklung hierzulande nicht zu gefährden?
Das Thema Wettbewerbsfähigkeit wird leider immer drängender. Grundsätzlich haben wir in Deutschland ein Problem mit zu hohen Kosten, zu hoher Abgabenlast und zu viel Bürokratie.
Ein Beispiel: Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn zahlen wir doppelt bis dreifach so hohe Steuern und Netzentgelte auf Energie. Für energieintensive Industriebetriebe wie unsere Werke ist das auf Dauer nicht tragbar. Ein weiteres Beispiel betrifft die Strompreise im Bereich Elektromobilität: Während der Strom zuhause etwa 25 Cent pro Kilowattstunde kostet, zahlt man an einer Schnellladesäule auf der Autobahn bis zu 90 Cent. Das ist nicht nachvollziehbar und hemmt die Verbreitung der Elektromobilität. Natürlich ist es legitim, dass Unternehmen ihre Geschäftsmodelle optimieren. Aber irgendwann muss es klare Grenzen geben, um Zukunftstechnologien bezahlbar und wettbewerbsfähig zu halten. Hier erwarten wir gezieltes Eingreifen der Politik.
Neben einer flächendeckenden, effizienten Ladeinfrastruktur brauchen wir vor allem ein Umfeld, das für Verbraucher einfach, transparent und fair ist – sowohl in Bezug auf Verfügbarkeit als auch auf die Kosten. Ich spreche noch gar nicht von weiteren strukturellen Wettbewerbsnachteilen wie hohen Lohnkosten oder sinkender Produktivität im Vergleich zum europäischen Ausland – aber auch diese Faktoren gefährden unsere Position zunehmend.
Valeo meckert nicht nur, wir bringen konkrete Vorschläge ein: Eine unserer zentralen Forderungen ist die Einführung eines Mindestwertschöpfungsanteils in Europa pro Fahrzeug. Ein solcher Ansatz würde helfen, gesunden Wettbewerb zu sichern, ohne auf Abschottung oder Zölle zu setzen. Wir haben keine Angst vor Wettbewerb – Valeo hat immer wieder bewiesen, dass wir uns international behaupten können. Unsere Werke, Entwicklungen und Strukturen sind darauf ausgerichtet, an der Spitze mitzuspielen. Aber in einem global veränderten Umfeld müssen wir strategisch handeln, um den europäischen Markt zu stärken. Man darf nicht vergessen: Rund 75 % des Werts eines Fahrzeugs stammen von Zulieferern. Es reicht nicht, nur die OEMs zu schützen – wir müssen ebenso die Zulieferindustrie, ihre Arbeitsplätze und ihr Know-how sichern.
Ein Mindestwertschöpfungsanteil wäre ein wichtiger Schritt, um langfristig die industrielle Basis Europas zu sichern. Immerhin hängen fast 8% des europäischen Bruttoinlandsprodukts und etwa 13 Millionen Arbeitsplätze direkt an dieser Branche.
Haben Sie für den Mindestwertschöpfungsanteil eine konkrete Zahl im Kopf oder könnten Sie ein Beispiel nennen, wie dieser in der Praxis aussehen könnte?
Wir haben bewusst noch keine konkrete Zahl für einen Mindestwertschöpfungsanteil genannt. Uns ist wichtig, der Politik hier den nötigen Gestaltungsspielraum zu lassen. Grundsätzlich habe ich keinerlei Sorge, dass wir uns im Wettbewerb mit jedem anderen Anbieter, der unter vergleichbaren Rahmenbedingungen arbeitet, behaupten können – oder sogar vorn liegen werden. Das eigentliche Problem liegt darin, dass die Rahmenbedingungen heute international sehr unterschiedlich sind, und hier hat Europa oftmals das Nachsehen. Genau daran müssen wir dringend arbeiten.
Dabei geht es uns aber nicht darum, ein negatives Bild zu zeichnen. Im Gegenteil: Valeo ist eine Tech Company, und wir haben starke Standorte in Deutschland. Unsere globale Zentrale für Fahrerassistenzsensorik befindet sich in Bietigheim, unser Forschungs- und Entwicklungszentrum für Hochvolttechnologien in Erlangen. Wir sind Weltmarktführer im Bereich ADAS-Sensorik und bekennen uns klar zu diesen deutschen Standorten.
Wir sollten uns nicht ausschließlich auf die Herausforderungen konzentrieren, sondern auch unsere Stärken selbstbewusst herausstellen. Gleichzeitig erwarten wir von der Politik – auf Bundes- wie auf Landesebene – Verlässlichkeit, Stabilität und Berechenbarkeit. Nur so kann die Industrie dauerhaft gestärkt werden.
Aus meiner Sicht, und nach 30 Jahren Erfahrung in der Industrie, bin ich überzeugt: Die Industrie leistet ihren Beitrag. Sowohl wir als Zulieferer, unsere Wettbewerber als auch die OEMs bieten international wettbewerbsfähige, leistungsstarke Produkte an, auf die wir stolz sein können. Deshalb sollten wir aufhören, uns kleinzureden.
Jetzt braucht es gezielte Impulse, damit Technologieentwicklung in Deutschland weiterhin auf Spitzenniveau möglich bleibt – nicht nur für Produkte, die erst in fünf oder zehn Jahren auf die Straße kommen, sondern auch für Technologien, die heute und morgen marktfähig sind. Dafür gibt es viel zu tun, aber es ist machbar. Wir bei Valeo sind bereit, unseren Beitrag zu leisten – und wir vertrauen darauf, dass auch die neue Regierung die nötigen Rahmenbedingungen dafür schaffen wird.
Angesichts der aktuellen Marktverschiebungen – Deutschland verliert bei den Pkw-Absatzzahlen an Bedeutung, während Märkte wie China wachsen und sich Technologien und Produktionsstandorte zunehmend verlagern – stellt sich die Frage: Glauben Sie, dass langfristig auch die Entwicklung in diese Märkte folgt? Oder wird ein wesentlicher Teil der Entwicklungsarbeit aufgrund des hier über Jahrzehnte aufgebauten Know-hows weiterhin in Deutschland bleiben?
Wir arbeiten heute bereits in einem globalen Netzwerk von Entwicklungsstandorten und nutzen Ressourcen auf allen Kontinenten. Diese internationale Zusammenarbeit wird sich aus meiner Sicht auch künftig weiter verstärken.
Woran ich jedoch keinen Zweifel habe, ist die zentrale Bedeutung des Unternehmertums, der Kompetenz und der Dynamik, die wir in Deutschland in unseren Entwicklungszentren aufgebaut haben. Diese Stärken bleiben der Schlüssel für die enge Interaktion mit unseren Kunden – und nur über diese Zusammenarbeit können neue Technologien erfolgreich auf die Straße gebracht werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Entwicklungs- und Innovationskompetenz in Deutschland erhalten bleibt. Gleichzeitig werden bestimmte Arbeitspakete im Rahmen unseres globalen Netzwerks natürlich auch an anderen internationalen Standorten bearbeitet werden. Die strategische Entwicklungskompetenz aber wird weiterhin hier vor Ort eine führende Rolle spielen. (oe)
Vielen Dank für das Gespräch!
(Das Interview führte Klaus Oertel, Chefredakteur der AEEmobility)