„Wir glauben an den Standort Deutschland und an die Innovationskraft sowie Ingenieurskunst unserer Industrie!“

Im Interview: Dr. Peter Mehrle, CEO Akkodis Germany und Tino Glatzel, Vice President Akkodis Mobility Solution

Tino Glatzel (Bild links) und Dr. Peter Mehrle anlässlich der Eröffnung des Innovationszentrums Eastgate in Wolfsburg. (© Akkodis)

Im Interview mit AEEmobility sprechen Dr. Peter Mehrle, CEO Akkodis Germany und Tino Glatzel, Vice President Akkodis Mobility Solutions über aktuelle Entwicklungen, darunter die Eröffnung des Innovationszentrums „Eastgate“ in Wolfsburg, die strategische technologische Ausrichtung sowie den Umgang mit globalen Herausforderungen. Zudem erläutern die beiden, wie Akkodis die Brücke zwischen traditionellem Produktengineering und modernen IT-Lösungen schlägt und welche Zukunftsperspektiven das Unternehmen verfolgt.


AEEmobility: Herr Dr. Mehrle, wie hat sich Akkodis Deutschland seit Ihrer Übernahme als Geschäftsführer entwickelt?

Dr. Mehrle: Ich würde sagen, die Entwicklung ist positiv verlaufen – das sollte schließlich immer der Anspruch sein. Das vergangene Jahr war intensiv und herausfordernd, doch wir haben es gezielt genutzt, um unser Portfolio voranzubringen – insbesondere mit Blick auf Nachhaltigkeit und AI. Dabei lag unser Fokus auch darauf, unsere globalen Kollegen stärker einzubinden, um uns als internationaler Dienstleister zu positionieren.

Trotz unserer lokalen Präsenz – wie im neuen Innovationszentrum Eastgate in Wolfsburg, wo wir unsere Kunden vor Ort betreuen – ist es essenziell, auch global lieferfähig zu sein. Deshalb haben wir unseren globalen Lieferverbund in den letzten zwei Jahren erheblich gestärkt. Natürlich bleiben die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen auch für uns nicht ohne Auswirkungen.

Aktuell befindet sich die gesamte Branche in einer Art Talsohle. Man sieht deutlich, dass viele Projekte pausiert oder verschoben wurden, da unsere Kunden ihre Strategien überdenken und bestimmte Projekte neu priorisieren.


Als CEO von Akkodis in Deutschland treibt Dr. Peter Mehrle die Zukunft der Mobilität voran. Seit mehr als 10 Jahren ist er in Management-Positionen mit einem Fokus auf Entwicklungsdienstleistern tätig, davon mehrere Jahre im internationalen Kontext in Frankreich und Belgien.


Können Sie Projekte benennen, die aktuell verschoben werden?

Der Fokus in der Branche liegt derzeit darauf, Produkte auf den Markt zu bringen, die neue Umsatzströme generieren können. Insbesondere in den Bereichen Systemintegration und Validierung sehen wir eine hohe Nachfrage. Besonders die physikalische Validierung für Vor- und Neuentwicklungen zeigt ein starkes Marktpotenzial.

Neue Produkte und Technologien stehen aktuell jedoch etwas unter Druck, da viele Unternehmen ihre Strategien neu ausrichten. Trotzdem bin ich überzeugt, dass große Hersteller wie Volkswagen, BMW und Mercedes bald wieder verstärkt investieren werden, da die Innovationsführerschaft entscheidend bleibt.

Jede Krise bietet auch Chancen. Wir haben uns in den letzten Jahren wesentlich resilienter aufgestellt, um Herausforderungen zu begegnen. Als stabiles Unternehmen investieren wir weiterhin in Wachstum, glauben an den Standort Deutschland und an die Innovationskraft sowie Ingenieurskunst, die unsere Industrie auszeichnet.

In Wolfsburg haben Sie kürzlich mit dem Eastgate ein Innovationszentrum eröffnet, in dem 650 Technologieexperten arbeiten werden. Ist das angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen der richtige Zeitpunkt?

Das Eastgate kommt keineswegs zur falschen Zeit, auch wenn es auf den ersten Blick etwas kontraintuitiv erscheinen mag. Wir sind jedoch fest davon überzeugt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um ein klares Bekenntnis zur Industrie und zur Innovation zu zeigen. Es geht darum, Fortschritt aktiv voranzutreiben. Wir glauben außerdem, dass die OEMs, wie bereits erwähnt, schon bald wieder verstärkt investieren werden, insbesondere in innovative Technologien, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Welche speziellen Technologien oder Themen adressieren sie jetzt im Eastgate?

Glatzel: Als Akkodis haben wir uns in den letzten Jahren erfolgreich positioniert, indem wir die beiden Welten Engineering und IT optimal miteinander verbunden haben. Diese Strategie setzen wir auch im neuen Eastgate fort. Unsere bisherigen Erfolge in diesem Bereich haben gezeigt, dass diese Verbindung von entscheidender Bedeutung ist, und mit dem neuen Gebäude eröffnen sich zusätzliche Möglichkeiten – etwa durch die Labore vor Ort.

Es ist wichtig zu betonen, dass das Eastgate nicht nur ein reiner Automotive-Standort ist. Natürlich haben wir hier im Norden eine lange Historie und einen starken Automotive-Fokus, insbesondere in Projekten mit Volkswagen, was durch die Nähe logisch ist. Aber unser Ziel ist es, breiter aufgestellt und resilienter zu werden, wie auch Herr Dr. Mehrle betonte.

Wir bedienen branchenübergreifend eine Vielzahl von Kunden und decken ein breites Spektrum an Themen ab: von klassischer Softwareentwicklung und Cybersecurity über KI-Anwendungen bis hin zu klassischen Engineering-Disziplinen. Besonders aktiv sind wir beispielsweise in der HV-Batterieentwicklung, der Antriebsstrang-Validierung und der Absicherung durch virtuelle Prüfstände. Unsere Kombination aus lokaler Präsenz und breitem technologischen Know-how macht uns in diesen Bereichen besonders stark.


Tino Glatzel ist Vice President Akkodis Mobility Solutions und leitet den Standort Wolfsburg.


Betrachten Sie sich als verlängerte Werkbank, oder bringen Sie auch eigene Innovationen und Forschungsleistungen aktiv ein?

Dr. Mehrle: Wenn wir den Markt betrachten, zeigt sich, dass das, was wir – vielleicht etwas salopp – als „Legacy Engineering“ bezeichnen, also das traditionelle Produktengineering, derzeit nur geringes Wachstum aufweist. Das ist keineswegs negativ gemeint, sondern spiegelt die Marktbedingungen wider. Investitionen in dieses klassische Produktengineering sind weitgehend stabil. Im Bereich des „Digital Engineering“ hingegen, also der digitalen Seele eines Produkts wie Software und vernetzte Technologien, sehen wir einen deutlichen Anstieg der F&E-Ausgaben – sowohl global als auch in Deutschland. Auch wenn es aktuell einen leichten Rückgang gibt, zeigen Prognosen, dass dieser Bereich weiter wachsen wird. Unsere Strategie basiert genau auf diesem Wandel. Unter dem Konzept der „Smart Industry“ kombinieren wir die Entwicklung physischer Produkte mit tiefgreifendem Verständnis für Software und digitale Technologien. Wir schaffen integrierte Lösungen, indem wir nicht nur physische Produkte entwickeln, sondern auch Software und Cloud-Anwendungen, die Produkte miteinander vernetzen – wie etwa in der Fahrzeugkommunikation.

In diesem Bereich sehen wir ein starkes Wachstum und zunehmende Investitionen, die unser Portfolio und unsere Expertise optimal nutzen. Unsere Aufgabe ist es, den Technologietransfer voranzutreiben, zusätzliche Innovationen einzubringen und Brücken zwischen Produktengineering, Softwareentwicklung und Cloud-Technologien zu schlagen. Als Preferred Partner von Unternehmen wie Microsoft, AWS und Salesforce bringen wir Technologien aus der IT-Industrie in die Automobilindustrie und schaffen dadurch signifikanten Mehrwert. Natürlich gibt es Projekte, in denen wir als verlängerte Werkbank agieren. Aber ebenso arbeiten wir an Vorhaben, bei denen wir neue Lösungen für unsere Kunden entwickeln – Lösungen, an die sie vielleicht noch gar nicht gedacht haben. In diesen Fällen agieren wir als Innovationstreiber, der zukunftsweisende Impulse setzt. Genau das sehen wir als unseren zentralen Auftrag.


Akkodis hat in Wolfsburg das Innovationszentrum „Eastgate“ eröffnet, wo 650 Technologieexpert:innen an innovativen Lösungen in Schlüsselbereichen wie künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und Mobilität arbeiten. Ein Fokus liegt auf der Entwicklung innovativer Antriebskonzepte wie Batteriesystemen und Brennstoffzellen. Zudem setzt Akkodis in Zusammenarbeit mit dem Joint Venture e:fs TechHub und dem Partner e.lective wichtige Impulse für automatisiertes Fahren und Elektromobilität.


Sie positionieren sich also klar als Ingenieurdienstleister und nicht als Tier-1-Zulieferer, wie beispielsweise Conti, Bosch oder ZF, die ähnliche Bereiche abdecken?

Dr. Mehrle: Wir sind das Ergebnis eines Mergers zwischen Modis und AKKA. Modis war stärker in der IT tätig, mit einem Fokus auf Softwareentwicklung, Big Data Analytics, KI-unterstützte Entwicklung, während AKKA auf Produktengineering spezialisiert war. Durch diesen Zusammenschluss haben wir nun das Beste aus beiden Welten – eine umfassende Kombination von IT- und Engineering-Kompetenzen. Wir nennen das Ganze „Smart Industry“, ein Begriff, der beschreibt, was wir erreichen wollen. Unser Ziel ist es, die traditionell sehr asset- und produktlastige Industrie in Deutschland smarter und nachhaltiger zu machen.

Als Dienstleister entwickeln wir IP für unsere Kunden und übergeben diese vollständig an sie. Anders als Unternehmen wie Conti oder Bosch, die IP behalten und Produkte verkaufen, liegt unser Produkt in der Entwicklung von IP, die wir an unsere Kunden abgeben. Das ist der wesentliche Unterschied.

Glatzel: Darüber hinaus erwarten unsere Kunden von uns, dass wir auch eigene Ideen und Zukunftslösungen entwickeln, neue Ansätze verfolgen und Dinge ausprobieren. Diese Herangehensweise ist nicht nur wichtig für die Weiterentwicklung unserer Produkte, sondern auch für die Ausbildung unserer Mitarbeiter. Wir wollen nicht nur als verlängerte Werkbank fungieren, sondern selbst Innovationen vorantreiben und dabei als aktive Gestalter auftreten. Ein Beispiel dafür ist unsere Akkodis Research, mit der wir geförderte Entwicklungsprojekte durchführen – etwa in Partnerschaft mit Universitäten und anderen Partnern, um gemeinsam in Verbundprojekten zu agieren.

Ein konkretes Projekt, das wir in diesem Zusammenhang hatten, ist „AORTA“ im Bereich des autonomen Fahrens. Dabei ging es um die Entwicklung eines Rettungsassistenten, der es autonomen Fahrzeugen ermöglicht, automatisch eine Rettungsgasse zu bilden. Dieses Projekt wurde in Kaiserslautern umgesetzt, und wir waren sehr erfolgreich beteiligt. Dieser Erfolg ist für uns ein Meilenstein, und wir integrieren die gewonnenen Erkenntnisse in unsere weiteren Projekte, um Mehrwert für unsere Kunden zu schaffen. Angesichts des starken Wettbewerbs müssen wir uns kontinuierlich differenzieren und unsere Innovationskraft einsetzen, um einen Vorsprung zu erzielen.

Können Sie noch einige Projekte nennen, an denen Sie derzeit arbeiten?

Glatzel: Ein Beispiel für ein aktuelles Projekt ist im Bereich der Lade- und Batterietechnologie, das wir zusammen mit der TU München vorantreiben. Hier geht es darum, den Gesundheitszustand einer Hochvolt-Batterie im Fahrzeug zu ermitteln – und zwar nicht nur durch die Batterie selbst, sondern auch über die Ladeinfrastruktur. Über die Auswertung der Ladekurven können wir analysieren, wie gut es der Batterie aktuell geht. Ein weiteres Beispiel ist unser Produkt, der Ladekommunikationscontroller „EVAcharge“, den wir mittlerweile in der zweiten Generation auf den Markt gebracht haben. Dieser Controller wird in einer Vielzahl von Ladesäulen und Fahrzeugen eingesetzt.

Durch die Kombination dieser Hardware und Software können wir ein zusätzliches Feature an der Ladesäule anbieten, mit dem Kunden den Gesundheitszustand der Hochvolt-Batterie direkt einsehen können – ohne einen speziellen Test. Einfach in die Ladesäule einstecken und die Analyse erfolgt automatisch. Darüber hinaus nutzen wir Big Data-Analysen, um weitere Erfahrungen zu sammeln und beispielsweise den Zustand der gesamten Fahrzeugflotte zu überwachen. So können wir frühzeitig feststellen, ob es Ausfälle oder Probleme mit einzelnen Zellen oder Modulen gibt.

Können Sie zum Thema KI vielleicht noch ein, zwei Beispiele nennen, an denen Sie arbeiten?

Glatzel: Ein weiteres Produkt, das wir entwickeln, ist der „AI-Core“, eine Lösung, mit der wir Bilder und visuelle  Datensätze auf unserer eigenen Infrastruktur analysieren – unter Verwendung unseres eigenen KI-Modells. Dieses System ist bereits sehr weit fortgeschritten, insbesondere in der Szenarioerkennung, die für autonomes Fahren von zentraler Bedeutung ist. Ein entscheidender Vorteil unseres Modells ist, dass wir es auf unserer eigenen Infrastruktur anlernen können. Das bedeutet, dass keine datenschutzrechtlichen Bedenken aufkommen, da die Daten nicht in Cloud-Dienste hochgeladen werden müssen. Dies verhindert, dass sensible Daten möglicherweise auf Servern im Ausland gespeichert werden, was häufig zu Datenschutzproblemen führen kann. Mit unserem AI-Tool haben wir, glaube ich, einen echten USP entwickelt, der Akkodis von anderen Dienstleistern abhebt. Ein zentraler Aspekt, der uns auszeichnet, ist unsere eigene Research-Einheit, die es unseren Ingenieurinnen und Ingenieuren ermöglicht, auch ohne Kundenprojekte an innovativen Themen zu arbeiten.

Dr. Mehrle: Ein weiteres Beispiel für unsere Innovationskraft ist unser Projekt Söze. Es ist wirklich faszinierend, was mit der Technologie, die hinter diesem Projekt steht, alles möglich ist. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Australien betreiben damit eine Big Data Analytics Plattform, die wir nun auch in Deutschland auf einer lokalen Cloud anwenden können. Ein konkretes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit einer großen Stromgesellschaft in Australien. Dort gibt es Herausforderungen im Bereich der Stromflüsse, da tagsüber viele PV-Anlagen überschüssigen Strom produzieren. Durch den Einsatz unserer KI-unterstützten Big Data Analyse konnten wir helfen, diese Stromflüsse besser zu koordinieren.

Ein „Beifang“ dieses Projekts war die Entdeckung, dass durch die Analyse von Smart Metern die Stromflüsse jedes Haushalts genauer betrachtet werden können. So konnte die Stromgesellschaft beispielsweise erkennen, dass ein Kühlschrank plötzlich einen ungewöhnlichen Peak im Stromverbrauch hatte, was auf ein mögliches Problem hinweist – etwa ein bevorstehender Defekt oder sogar ein Brandrisiko. Dieses Wissen ermöglicht es der Stromgesellschaft, ihren Kunden einen zusätzlichen Service anzubieten: Predictive Maintenance, basierend auf den Stromdaten der Haushaltsgeräte. Die Möglichkeiten dieser Technologien sind wirklich beeindruckend und eröffnen zahlreiche weitere Anwendungsmöglichkeiten, die heute noch kaum vorstellbar sind.

Ist denn die Integration von Modis und AKKA endgülig abgeschlossen?

Dr. Mehrle: Die größte Herausforderung der letzten zwei Jahre bestand darin, die Teams international zusammenzubringen – sowohl zwischen den Kontinenten als auch zwischen den Modis- und AKKA-Teams. Jetzt haben wir eine sehr stabile Basis geschaffen und einen guten Austausch etabliert. Wir betreten nun eine neue Ära, da wir die Integration abgeschlossen haben und jetzt in der Lage sind, neue Aktivitäten zu skalieren. Was das Eastgate hier in Wolfsburg betrifft, so ist dieser Standort organisatorisch vollständig in Akkodis integriert und fungiert als ein ganz normaler Standort innerhalb unseres Netzwerks.



Vom Serienauto zum Testfahrzeug – innerhalb weniger Minuten

LeanDRA von e:fs ist eine innovative All-in-One-Lösung für die Entwicklung, Prototypenentwicklung und Validierung von Fahrfunktionen. Mit dieser Technologie werden Serienfahrzeuge in wenigen Minuten in Testfahrzeuge umgewandelt. Die Steuerung dieses softwaredefinierten Lenkroboter erfolgt über CAN oder Ethernet und ermöglicht die Ansteuerung aller Fahrzeugfunktionen. Weitere Informationen zu diesem Produkt finden Sie im Interview (Link am Ende dieses Beitrags) mit Niklas Jester, Product Owner bei der e:fs TechHub GmbH, einem Joint Venture der Akkodis Germany Solutions GmbH und CARIAD SE.rn.

Die Solldaten können über die CAN- oder Ethernet-Schnittstelle des LeanDRA an das Leitsystem übertragen werden. So kann das Fahrzeug sogar über einen einfachen Controller ferngesteuert werden. (© e:fs TechHub)


Gibt es hier im Eastgate spezielle Kernkompetenzen?

Dr. Mehrle: Zunächst haben wir unsere Standorte in Wolfsburg und Braunschweig zusammengeführt. Das haben wir getan, um den Austausch zu fördern und die Effizienz zu steigern. Im Eastgate konzentrieren wir uns besonders auf die Kernkompetenz der Batterieentwicklung und des Batterietests, was hier einen zentralen Schwerpunkt bildet. Die Fahrzeugentwicklung ist ebenfalls eines unserer Hauptbetätigungsfelder. Wir haben jedoch auch Aktivitäten im Bereich der Bahnentwicklung, da wir davon ausgehen, dass dieser Markt in den kommenden Jahren in Deutschland stark wachsen wird, was auch entsprechende Investitionen erforderlich macht.

Glatzel: Das Thema Elektromobilität war für uns schon früh ein wichtiger Schwerpunkt. Ich persönlich habe 2012 zusammen mit einem kleinen Team den Aufbau dieses Bereichs initiiert. Es ist ein Thema, das in den folgenden Jahren rasant gewachsen ist, insbesondere durch die Entwicklung und den Fokus auf Qualität.

Dank dieses frühen Engagements haben wir heute eine sehr ausgeprägte Expertise und agieren mittlerweile als zentraler Hub, der diese Kompetenz auch bei Kunden einbringt. Wir haben in der Region ein Testzentrum sowie eine umfassende Infrastruktur aufgebaut, um die Ladetechnologie zu validieren und zu testen. Diese Einrichtung wird nicht nur von unseren Wolfsburger Kunden genutzt, sondern ist inzwischen auch ein internationaler Anlaufpunkt, da wir die Interoperabilität zwischen Ladeeinheit und Fahrzeug prüfen und absichern können.

Wir sehen Wolfsburg als offenen Innovation-Hub und haben hier eine Kapazität von bis zu 650 Arbeitsplätzen. Ein weiteres Highlight ist der e:fs TechHub, ein Joint Venture zwischen Akkodis und CARIAD, der ebenfalls im Eastgate ansässig ist und unsere Aktivitäten in diesem Bereich weiter stärkt.

Wir positionieren den Standort Eastgate bewusst als offenen Innovation-Hub und heißen sowohl unsere Kunden als auch Partner herzlich willkommen, um gemeinsam einen Ort der Innovation zu schaffen. Das Gebäude ist so groß, sodass auch andere Unternehmen und Einrichtungen dort Platz finden können. Das Miteinander und die Arbeitsweise im Büro spielen eine wichtige Rolle, besonders wenn es um internationale Projekte geht, die unsere Kunden zunehmend von uns erwarten. Ein Beispiel ist der Konzern Volkswagen, derviele Themen nach China bringt. In solchen Fällen arbeiten wir eng mit unseren lokalen Akkodis-Standorten in China zusammen, was spezielle Räumlichkeiten und Zusammenarbeitsmodelle erfordert. Für diese Anforderungen haben wir das Gebäude so konzipiert, dass es Projekträume bietet, die optimal auf digitale Zusammenarbeit ausgelegt sind und in denen Teams effektiv arbeiten können.

In unseren Kompetenzzentren, den sogenannten Centers of Expertise, wie beispielsweise im Bereich E-Mobility & Powertrain, arbeiten die Teams teilweise auch remote. Dennoch war es uns wichtig, den Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit zu bieten, in größeren Gruppen für einen persönlichen Austausch zusammenzukommen. Solche Anforderungen an die Gebäudestruktur waren früher unüblich. Deshalb haben wir im neuen Gebäude unter anderem ein Kolosseum gestaltet, das genau diesen Bedarf erfüllt und einen effektiven Austausch ermöglicht.

Wenn man das klassische V-Modell aus dem Entwicklungsbereich betrachtet, liegt Ihr Schwerpunkt eher auf der rechten Seite, also bei der Absicherung und dem Testen. Oder sind Sie auch im frühen Entwicklungsstadium tätig, im Sinne des sogenannten „Shift Left“-Ansatzes?

Dr. Mehrle: Wir sind derzeit eher auf der rechten Seite des V-Modells stärker aufgestellt, mit einem klaren Fokus auf Systemintegration, End-of-Line-Testing, Verifikation und Validierung des gesamten Systems. Allerdings investieren wir aktuell stark in den Shift Richtung linke Seite des Modells, insbesondere um schneller in der Entwicklung zu werden, mehr in die Feature-Entwicklung und Funktionsentwicklung zu gehen. Während unser bisheriger Schwerpunkt in der Systemintegration liegt, sind wir ebenfalls aktiv in Bereichen wie Connectivity und der EE-Architektur sowie in der Softwareentwicklung. Langfristig möchten wir entlang des gesamten V-Modells stärker vertreten sein, was sich auch in unserer Umsatzverteilung widerspiegeln soll.

Sie zeigten bei der Eröffnung des Eastgate auch einen Ladecontainer, was hat es damit auf sich?

Glatzel: Das Thema Ladecontainer ist eine Innovation von uns. Zwar gibt es ähnliche Lösungen bereits am Markt, aber wir haben einen USP entwickelt, der speziell die Brücke zum Infrastrukturausbau schlägt. In diesem Bereich sehen wir die größte Herausforderung in der Elektromobilität – den Ausbau der Ladeinfrastruktur.

Unser Ladecontainer ist so konzipiert, dass er als Pufferspeicher fungiert. Besonders für Logistikunternehmen, die eine begrenzte Netzkapazität haben – beispielsweise nur 150 kW vom Netz bekommen – ermöglicht der Container dennoch das Laden mit hohen Leistungen. Auch die Integration von Photovoltaikanlagen auf den Dächern von Logistikzentren bietet hier eine Lösung, um die Container tagsüber aufzuladen. Ein besonderes Merkmal ist unser Batteriemanagementsystem, das es ermöglicht, Second-Life-Batterien von Lkw oder Pkw zu integrieren. Diese können so weiterverwendet werden, was einen zusätzlichen Mehrwert bietet. Unsere Lösung ist also ein echter Game Changer, da sie flexibel einsetzbar ist und vor allem den Infrastrukturausbau in Deutschland vorantreiben kann. Der Container ist nicht nur eine Übergangslösung, sondern könnte auch langfristig als stationäre Lösung für den Ladebetrieb genutzt werden. Besonders in Zeiten, in denen die Netze an ihre Grenzen stoßen, können solche Speicherlösungen zur Speicherung von Überschüssen beitragen. Die Frage, die sich stellt, ist, wie wir den notwendigen Energiebedarf für die Dekarbonisierung des Transports sicherstellen können. Der Entwicklungsvorstand eines unserer Kunden sagte auf der IAA, dass es 350 Terawattstunden mehr Energie in Europa erfordert, um die Logistik zu dekarbonisieren. Zum Vergleich: Der Gesamtverbrauch von Deutschland liegt bei 500 Terawattstunden. Das zeigt, welche Herausforderung der Infrastrukturaufbau bedeutet. Deshalb bleiben wir technologieoffen und setzen sowohl auf Brennstoffzellen als auch auf batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs) in der Transportbranche. (oe)


Der Ladecontainer puffert die Strombedarfsspitzen ab, die nur dann auftreten, wenn ein oder mehrere E-Fahrzeuge an den Schnellladern hängen. Wenn die Ladepunkte nicht benötigt werden und die nachgefragte Ladeleistung unter die Netzleistung fällt, lädt der Container aus dem Netz die Akkus wieder voll. So schafft das System bei einer Netzleistung von maximal 180 kW (ein üblicher Wert in urbanen Regionen) eine Ladeleistung von bis zu 600 kW. (© Akkodis)


Vielen Dank für das Gespräch!

(Das Interview führte Klaus Oertel, Chefredakteur der AEEmobility)


Link zum Interview mit Niklas Jester, Product Owner bei der e:fs TechHub GmbH: „Zur Automatisierung von Testfahrzeugen benötigen wir nur eine Tempomatfunktion und eine Querfunktion“

Link zum Projekt AORTA: Automatisierte Bildung von Rettungsgassen in komplexen Szenarien