Kommentar zur IAA Mobility 2023

Wenig Grund zur Euphorie

Autonome Fahrzeuge wie das gemeinsam von Schäffler und der VDL Group entwickelte Shuttle werden bei der vielbeschworenen Mobilitätswende auf absehbare Zeit keine Rolle spielen. ©Franz Roßmann

Ein technisch interessierter Freund, der bei einem Automobilzulieferer arbeitet, hat mich erwartungsvoll nach meinen Eindrücken von der IAA in München gefragt. Meine Reaktion hat ihn sichtlich irritiert. Die fiel nämlich sehr durchwachsen aus.

Sicher, die ausstellenden Firmen, darunter fast die Hälfte aus Fernost, haben viele neue technische Lösungen gezeigt.

So hat ZF eine fremderregte Synchronmaschine präsentiert, die ohne Magnete und damit ohne seltene Erden auskommt. Mindestens so interessant auch der neue Zentral-E-Motor von Deepdrive mit zwei Rotoren. Er soll laut einem Firmengründer 30% billiger sein als aktuelle Lösungen und darüber hinaus effizienter als der von Tesla verwendete Motor.

LG Electronics stellte das Fahrzeugkonzept Alpha-able vor: Ein autonomes Fahrzeug, das als Erweiterung der eigenen Wohnung dienen soll und die Insassen nebenbei herumfährt. Das Konzept sieht u.a. einen umkonfigurierbaren Innenraum inkl. Saugroboter sowie Scheiben vor, die auch als Display dienen und den Insassen so auf Wunsch den Eindruck einer Weltraumreise oder eines Autorennens vermitteln können.

Kommentar von Franz Joachim Roßmann, Herausgeber und Co-Chefredakteur.

Weitere Beispiele: Eine von Magna gebaute Heckklappe, die sich auf Zuruf öffnet und schließt und mit Durchlichttechnik ausgestattet ist – also Leuchten enthält, die im ausgeschalteten Zustand unsichtbar in den Thermoplastikteilen integriert sind. Akkodis macht mit einem Konzept auf sich aufmerksam, das Wechselbatterien ins Zentrum stellt, die je nach Bedarf in einen Roller, ein Stadtauto oder ein Elektrofahrrad eingesetzt werden können. CATL präsentiert seine LFP-Batterie Shenxing, die sich in 10 Minuten für eine 400km-Fahrstrecke laden lässt. Und Rept Battero nutzt bei der LFP-Batterie Wending den Bauraum durch eine neue Kontaktierungstechnik besser aus und hat so die Energiedichte auf Zellebene um 15% gesteigert und den Volumennutzungsgrad auf Systemebene um 26% erhöht.

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Kein Durchkommen: Pressevertreter warten auf die Ankündigungen von VW auf der IAA.

Warum also will bei mir trotzdem nicht so recht Euphorie aufkommen? Nun, das hat mehrere Gründe: Zum einen lag der Fokus vieler Zulieferer und OEMs auf Neuerungen, die auf absehbare Zeit nur in Premiumfahrzeugen zu sehen sein werden.

Von autonomen Fahrzeugen war nur am Rande zu hören. Deren breite Einführung verschiebt sich immer weiter in die Zukunft. Das (ineffizient genutzte) Auto im Privat- oder Firmenbesitz bleibt so auf absehbarer Zeit im Fokus der OEMs und Autokäufer.

Trotzdem waren günstige Kleinwagen bei den deutschen OEMs kein Thema oder eher Nebenschauplatz. Selbst die Volkswagen AG zeigte beispielsweise lieber das Konzeptfahrzeug Porsche Mission X mit Zitat „Motorsport-DNA“ und Audis Elektropanzer Q6 e-tron sowie den Elektro-Bulli. Aber halt, da gab es ja auch noch als Premiere den ID. GTI Concept auf dem Stand! Die Kleinwagenstudie basiert auf dem ID.2, der wiederum für unter 25.000 Euro über den Ladentisch gehen soll. Die GTI-Version dürfte aber eher 30.000 Euro kosten – in der Grundversion. Und, der Start der Serienproduktion für den ID.2 ist erst für 2026 bei Seat in Spanien geplant.

Premiere auf der IAA Mobility 2023: die Kleinwagenstudie ID. GTI Concept

Die chinesischen Hersteller waren dagegen mit allen Segmenten auf dem Messegelände zu sehen und konnten durchaus mit ihrem Angebot überzeugen.

Fast genervt haben mich diverse Referenten der diversen Pressekonferenzen mit dem Thema Nachhaltigkeit, weil sie darunter in der Regel ‚nur‘ die Umstellung auf Elektroantriebe und eine CO2-freie Produktion subsumierten, die ihnen ohnehin weitgehend vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird.

Viele der vorgestellten Neuerungen müssen sogar als Rückschritt gewertet werden: Durchsicht-Technik, immer aufwändigere Lichtsysteme (verklebte Teile, vergossene Schaltungen, unterschiedlichste Kunststoffe und steigende Elektronikanteile) sowie immer rechenintensivere (Cloud-unterstützte) Funktionen – um nur einige Beispiele zu nennen – tragen nicht dazu bei, den ökologischen Fußabdruck der Mobilitätsangebote zu verringern.

Nachhaltigkeit sieht eher so aus. (Innenansicht des von Schäffler und VDL Group gemeinsam entwickelten, autonomen Shuttles.)

Die sich abzeichnenden großen Fortschritte in der Batterietechnologie werden zudem dazu führen, dass gebrauchte Fahrzeuge weitgehend unverkäuflich und in der Folge verschrottet werden müssen, weil sie mangels Lademöglichkeiten nicht einmal im ‚globalen Süden‘ weiterverwendet werden können.

Auch diese Liste der Probleme, nennen wir sie hier einmal euphemistisch Herausforderungen, ließe sich noch lange fortsetzen.

Daher mein persönliches Fazit: Auf eine wirklich nachhaltige Mobilitätswende dürfte die Mehrheit der Weltbevölkerung und die Umwelt noch sehr, sehr lange warten. Fragt sich nur, ob wir uns diese Zeit nehmen sollten und können. (jr)