Bei einer Leistungsschau von fünf Lehrstühlen hat die TU München eindrucksvoll gezeigt, welche Potentiale noch in der batterieelektrischen Mobilität stecken. Dabei betrachten die TUM-Forscher die gesamte Wertschöpfungskette der Elektromobilität. Die Forschung reicht vom verwendeten Zellmaterial einzelner Batteriezellen über deren Produktion und Integration in das Fahrzeug bis hin zur optimierten Anwendung der Fahrzeuge.
Prof. Markus Lienkamp vom Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik machte in seiner Ansprache auch gleich deutlich: Den aktuell diskutierten E-Fuels prophezeite er keine große Zukunft – zumindest für Pkw. Sie seien zu teuer, zu ineffizient und zu selten. Auch Wasserstoff sieht er kritisch, weil ebenfalls weniger effizient als batterieelektrische Antriebe. Zudem benötigt Wasserstoff einen hohen Energieeinsatz in der Produktion. Lediglich bei Nutzfahrzeugen könne Wasserstoff eine Option sein, so Lienkamp weiter. Es laufe für die Masse an Pkw eindeutig auf batterieelektrische Antriebe (BEV) hinaus, die unschlagbar effizient seien. 400 bis 500 Hundert Tausend Kilometer seien heute schon bei der Lebensdauer von Batterien machbar, so Lienkamp. Damit die BEV-Technologie aber ihre Vorteile auch ausspielen könne, sei es nötig, diese so intensiv wie möglich zu nutzen und verwies auf die Potenziale des Sharing-, Shuttle- und Taxieinsatzes.
Ein Fokusthema der Studierenden auf der Themeninsel Cell Design and Performance ist die Designoptimierung und Performance-Steigerung von Einzelzellen sowie Zellsystemen in Elektrofahrzeugen, im Speziellen die Energiedichtesteigerung durch Silizium als Anodenmaterial bzw. Si-basierte Anoden für Hochenergieanwendungen. Hintergrund: Silizium als Anodenmaterial ermöglicht aufgrund seiner hohen gravimetrische Energiedichte von bis zu 3.600 mAh/g im Vergleich zu 372 mAh/g für Graphit eine signifikante Steigerung der Energiedichte. Um die große Volumenarbeit des Aktivmaterials zu kompensieren, sind Silizium-Graphit Komposite ein vielversprechender Ansatz. Derzeit erproben die Forscher Kompositelektroden mit bis zu 20 Gewichtsprozent Silizium.
Die Integration des Hochvoltspeichers in das Gesamtfahrzeug war Thema des Lehrstuhls für Fahrzeugtechnik. Die Forscher untersuchen u. a. die Vermeidung bzw. Verzögerung der Ausbreitung des thermischen Durchgehens einer Einzelzelle in der Gesamtbatterie, denn in neuen Regularien, wie z.B. der GB/T 38031 aus China, sind nun auch Abuse-Tests hinsichtlich der Propagation des thermischen Durchgehens in Lithium-Ionen-Batterien erforderlich. Aus diesem Grund müssen OEMs und Zulieferer geeignete Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Verlangsamung der thermischen Propagation in das Batteriesystem integrieren. Zudem werden der Einfluss der Zellchemie auf die thermische Propagation im Zellmodul untersucht. Dazu wurde auch ein Containerprüfstand für Abuse-Tests an Lithium-Ionen-Batterien entwickelt, welcher das Testen auch unter Extrembedingungen erlaubt und Forschung hinsichtlich einer sicheren Batterie und sinnvollen TP-Maßnahmen ermöglicht.
Ein weiterer Schwerpunt der TUM-Forscher sind neuartige Schnellladekonzepte. Mittels einer holistischen Systembetrachtung werden vom Gesamtfahrzeug kommend Vorkonditionierungs- und Betriebsstrategien entwickelt und ein ideal darauf abgestimmtes Batteriepack konzipiert. Auf Modulebene wird ein besonderer Fokus auf die elektrische und thermische Konfiguration gelegt, um eine gleichmäßige Belastung der Einzelzellen sicherzustellen und so den besten Kompromiss zwischen Ladezeit und Zellalterung zu erreichen. Zur Validierung haben die Forscher prototypische Batteriemodule aufgebaut, die durch modellbasierte Optimierungsverfahren mittels eines digitalen Zwillings innerhalb von 15 Minuten geladen werden können. Durch batterieschonendes Schnellladen kann eines der zentralen Hindernisse der Elektromobilität bewältigt und ein Ladestopp vergleichbar mit der Dauer eines Tankstellenaufenthalts erreicht werden.
In einem weiteren interessanten Projekt namens NEFTON entwickelt ein Konsortium aus Forschung und Industrie unter Führung der TU München den Prototyp eines Lkw mit Elektroantrieb samt einem bidirektionalen Ladegerät für ultraschnelles Laden bei 3 MW. Dahinter steht das Ziel, dass E-Lkw nicht nur langsam über Nacht, sondern auch tagsüber bei kurzen Stopps mit hohen Ladeleistungen aufgeladen werden können, etwa während das Fahrzeug an der Laderampe steht. „Unser Ziel ist es, Lösungen zu entwickeln, die wirtschaftlich und zeitnah umsetzbar sind. Und zwar mit Technik, die bereits verfügbar ist. Aber die noch niemand in dieser Kombination eingesetzt hat“, sagt Sebastian Wolff vom Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der TU München.
Um im Megawatt-Bereich zu laden, schwebt den Forschern die Einbindung eines stationären Pufferspeichers vor, durch den sich der teure Netzausbau vermeiden lässt. Die Akkus im Lkw selbst müssen bei der hohen Ladeleistung effizient gekühlt werden. Dafür gebe es bereits verschiedene Lösungsansätze: „Wir werden wahrscheinlich zunächst eine Wasserkühlung für die Batterie, Kabel und Stecker nutzen“, so Wolff. Ein weiterer Aspekt: Die Ladesäulen sollen bidirektional funktionieren, sodass Lkw, die etwa für einen längeren Zeitraum auf dem Parkplatz einer Spedition stehen, als Speicher für erneuerbare Energien fungieren können. „Dieses Konzept kann bei Lkw wegen der höheren Speicherkapazität sehr viel attraktiver und wirtschaftlicher sein als etwa bei einem Elektroauto“, veranschaulicht Wolff.
Auch ein Tool zur technisch-ökonomischen Zellauswahl wurde vorgestellt. Es bewertet die Eignung bisheriger Lithium-Ionen-Zellen für die Elektrifizierung von Langstrecken-Lkw und erlaubt es, die Energiedichte (gravimetrisch und volumetrisch), Laderate (in C-Einheiten) und Zyklenfestigkeit von Zellen zu vergleichen. (oe)